Der Nahverkehr 04/2004

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Haltestellen-Uberdachungen
transparent ohne Glas

Acryl kann eine tragfähige Alternative darstellen

Das gläserne Dach ist seit geraumer Zeit die bevorzugte Gestaltungsvariante in der Stadtchitektur. Damit greifen die Planer ein früher oft vernachlässigtes Bedü rfnis der Menschen auf: Unter Tageslicht fühlt man sich einfach wohler, was - wie Wissenschaftler herausgefunden haben - vor allem an dem “Gute-Laune-Hormon“ Serotonin liegt. Es wird vom Körper ausgeschüttet, wenn es hell genug ist. Allein deshalb kann es an den Haltestellen und Knotenpunkten des ÖVPN nicht hell genug sein. Hinzu kommt der Aspekt der Sicherheit. Lichtdurchflutete Objekte werden von “dunklen Gestalten“ germieden. Und schließlich können die enormen Kosten einer ganztägigen Beleuchtung eingespart werden. 

Oft scheitert jedoch die Realisierung einer gläsernen Architektur an den knappen Kassen:
1 m² Echtglas kostet rund 550 Euro. Es wiegt etwa 30 kg/qm, was eine recht aufwändige Statik erfordert. 

Die Alternative ist Acryl. Die Zeiten, in denen es verächtlich “Plastik“ genannt wurde, sind lange vorbei. Materialeigenschaften, Verarbeitung und verschiedene Techniken der Veredelung machen Acryl stabil und langlebig. Es verfügt über eine hervorragende Beständigkeit gegenüber UV-Strahlungen, das heißt, auch nach langjähriger Freibewitterung setzt keine Vergilbung oder Versprödung ein. Dabei erreicht es mit 92 Prozent die Lichtdurchlässigkeit von Echtglas. Das geringe Gewicht - die Dichte einer “Echt“Glasscheibe ist 1,5 Mal höher - ermöglicht fast “schwebend“ wirkende Konstruktionen. Weil Kunststoff elastischer ist, kann er in wesentlich geringeren Materialstärken verarbeitet werden. 1 m² Acrylglas-Verscheibung wiegt etwa ein Fünftel einer Echtglas-Konstruktion. Mit rund 250 Euro pro Quadratmeter kostet ein Acryldach etwa die Hälfte eines Glasdaches. Die hohe Formbarkeit des Materials ermöglicht eine Auflockerung durch Rundungen, Kuppeln et cetera - außerdem Einfärbungen in beliebigen Tönungen - mit nur geringen Mehrkosten. 

Die Roda-Germany GmbH mit Sitz in Kleve hat ein System für gläserne Überdachungen entwickelt, mit dem relativ kostengünstig große Flächen vor Regen et cetera geschützt werden können. An Stelle von Echtglas wird als Eindeckung Acrylglas und als Tragwerk eine leichte Aluminiumkonstruktion eingesetzt. Das patentierte System eignet sich unter anderem als Uberdachung von Busbahnhöfen, Zweiradparkplätzen oder als Wartehäuschen. 

Überdachungen in diesem System können als Sattel- und als Gewölbekonstruktion ausgeführt werden. Die einzelnen Verscheibungselemente aus UV-beständigem Acryl beziehungsweise PET-Glas werden mit Trageprofilen miteinander verbunden, wobei das Profilraster 0,70 bis 1 m beträgt. Bei der Sattelkonstruktion wird die Verscheibung so gewinkelt, dass keine Firstleiste erforderlich ist. Für die Gewölbeform wird die Verscheibung einfach gebogen; hier zeigt die Flexibilität des Materials ihre Vorteile. Es können Spannweiten bis zu 6 m überbrückt werden. Die Träger sind aus Aluminium. Die Unterkonstruktion wird aus feuerverzinktem Stahl gebaut. 

Das Regenwasser, der “natürliche Feind“ aller Dächer, wird mittels eines Alu-Rinnensystems kanalisiert und damit praktisch unschädlich gemacht. Die Rinne ist begehbar und ermöglicht es, Wartungs- und Reinigungsarbeiten problemlos auszuführen. 

Sattel- und Gewölbekonstruktion können auch als zweischiffiges Pylondach auf drei Stahlrohrpylonen realisiert werden. Die Abmessung eines Moduls beträgt in diesem Fall 11,20 x 12 m = 132,4 m² bei 3 m Höhe. Das Niederschlagswasser wird bei dieser Konstruktion ebenfalls von einer Aluminiumsammelrinne aufgenommen. Parallel zu einer Stütze steht ein Fallrohranschluss zur Verfügung. 

Aus den beschriebenen Systemen wurden die Modulbaugruppen Haltestelle und Zweiradparkeradaptiert. Bei den Haltestellen handelt es sich um Tonnengewölbe- oder Satteldach-Überdachungen in der Abmessung 4 x 2,05 m bei 2,17 m Höhe. Die Faltgiebel haben eine Dachneigung von 30 Prozent. Die Entwässerung erfolgt über die Aluminiumrinnen der Gewölbe und - verdeckt liegend - durch die Rahmenkonstruktion bis etwa 10 cm oberhalb der Geländekante zur Rückseite hin. Sowohl die Dacheindeckung als auch die Verkleidung der beiden Seitenteile und - optional - die Rückwandfläche sind aus klarem, massivem Acrylglas. Die Fahrradstellplatz-Uberdachungen bestehen aus Gewölbe- oder Faltgiebel, die auf Vierkantrohr-Rahmen montiert sind. Ein Modul überdacht zwölf Stellplätze. 

Ein Realisierungsbeispiel für das beschriebene System ist der Busbahnhof in Hornburg/Saar. Auch hier favorisierten die Planer von Anfang an ein Glasdach. Die ursprünglich geplante Echtglas-Variante wurde von den Bauherren vor allem aus Kostengründen verworfen. Die stattdessen umgesetzte Acryl-Lösung ist eine Gewölbekonstruktior von bis zu 60 m Länge und 25 m Breite. Sie überspannt mit einer Gesamtfläche von rund 752 m² die Omnibushalteplätze, teilweise die Taxistände sowie die Zuwegung zum Haupteingang der DB-Station. Vier Modulgruppen Zweiradparker ergänzen das Ensemble. Die Tragekonstruktion sowie die Alusprossen und -rinnen erhielten eine Farbtonpulverbeschichtung in Weiß (RAL 9010). Grundsätzlich ist eine Beschichtung in allen RAL-Tönen möglich. 

Der Aufbau eines 1000 m² großen Daches dauert rund zehn Tage. Roda übernimmt als Komplettleistung die Erstellung der statischen Berechnung, der Fundamentpläne, der Konstruktionszeichnungen und den Aufbau der bereits montagefertig angelieferten Teile. Dagegen können die Modulbaugruppen Haltestelle und Zweiradparker als Bausatz für die Selbstmontage bezogen werden. 

Etwa alle zwei Jahren muss das Kunststoffglas durch ein Gebäudereinigungsunternehmen gesäubert werden. Der Aufwand hierfür liegt bei rund 2 €/m² Zur Kostendeckung kann ein großflächiges Dach teilweise mit Fotovoltaikelementen ausgestattet werden. Bei einer möglichen Sonnenenergieausnutzung von 60 Prozent zur Stromgewinnung würden die Kosten für Investition und Pflege fast vollständig kompensiert.

Dipl.-Betr.wirt Heinz Roelofsen, Kleve